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Steinmehl als Heilmittel gegen Krankheiten und andere Unbequemlichkeiten (Teil 1)

Schon in der weiten Vergangenheit wurde im (Volks)Glauben und in der Volksheilkunde geweihter Erde (Sand, Ton und dergleichen) und Steinpuder oder Steinmehl eine heilende Wirkung zugeschrieben. Diese besondere Eigenschaften bekamen sie auf einige Weisen: sie wurden von einem Priester geweiht, sie stammten vom Grab (oder der direkten Umgebung) eines Heiligen, sie stammten von einem Ort wo ein Heiliger etwas Besonderes getan hat oder wo ein Heiliger gestorben war. Steinpuder könnte man auch bekommen, indem man es von zum Beispiel Kirchen oder steinernen Kreuzen abkratzte. Im Allgemeinen wird die Gewinnung von Steinpuder auf dieser Weise nicht die Genehmigung der kirchlichen Behörden gehabt haben, denn durch diese Gewinnung wurde ja die Kirche beschädigt. Wir können wohl sagen, daß solches Steinmehl und solche Erde Ähnlichkeiten mit Reliquien hatten. Und manchmal waren sie sogar Reliquien, zum Beispiel als es sich um Erde aus dem Grab eines Heiligen handelte. Bei Christen in der Niederlande und ihre Umgebung spielt vor allem der römisch-katholische Glauben eine Rolle bei der Anbetung von Reliquien. Mit diesen Reliquien meinen die Gläubigen die Überreste eines Heiligen oder Gegenstände die mit dem Leichnam eines Heiligen oder dem Leichnam von Jesus oder der Heiligen Mutter Gottes in Berührung gewesen waren. Obwohl die Anzahl der Orte, wo man geweihte Erde oder 'heiliges' Steinpuder und Erde bekommen kann im Laufe der Zeit weniger geworden sind, gibt es den Brauch noch immer. In der Niederlande und Belgien haben wir mittlerweile sechs solche Orte gefunden. 

Kirchen und Kapellen mit geweihter Erde 

Die Sint Gerlachuskirche - Houthem-Sint Gerlach 
Die Sint Gerlachuskirche liegt in der niederländischen Provinz Limburg in Houthem-Sint Gerlach (Gemeinde Valkenburg aan de Geul). Ungefähr in der Mitte der Kirche steht das Grabmal des heiligen Gerlachus. In einem offenen Raum unter dem Grabmal liegt ein Haufen 'Sand' (Abbildung 1). Das es hier 'geweihtes Sand' betrifft, steht auf einem Schild neben dem Grabmal. Wenn wir den Sand genauer abetrachten, sehen wir, daß es hier nicht um richtigen Sand aber um Kalksteinpuder geht. Dieses Kalksteinpuder stammt aus Kalksteinablagerungen des Oben-Kreides. Sie sind in diesem Gebiet vor ungefähr 65 Millionen Jahren sedimentiert worden. Die örtliche Bevölkerung nennt diesen Kalkstein 'Mergel'. Das es um Kalkstein und nicht um Sand geht, ist für die Anwendung aber nicht wichtig. Bei dem Haufen Kalksteinpuder liegt eine kleine Schaufel und neben dem Grabmal steht ein Behälter mit Plastiktüten. Auf dieser Weise können die Menschen etwas Puder in einer Tüte mit nach Hause nehmen.Dort liegt auch ein Handfeger. Damit kann man eventuell verschüttetes Puder wieder unter das Grabmal fegen. Die Gläubigen benutzen das Steinpuder oder Steinmehl zur Heilung von kranken Tieren. Wenn etwas Puder unter das Getreide gemischt wird, würde es auch Ratten und Mäuse ferne halten. Wenn man es in die Ställe streut, würde es gut sein für das allgemeine Wohlbefinden des Viehs. Und auch würde es gut für Pflanzen und Blumen sein, wenn man etwas unter die Erde mischt, worin sie wachsen. Die Grundlage dieses Brauchs ist der Ritter Gerlachus aus dem 12. Jahrhundert. Gerlachus wollte an einem bestimmten Zeitpunkt sein Leben bessern. Nach mehreren Jahren von Buße wurde Gerlachus ein Einsiedler auf seinem Landgut in der Nähe des heutigen Houthem-Sint Gerlach. Laut der Überlieferung gab es später beim Grab des Gerlachus kleine Wunder. Seit diesem Moment nahmen die Menschen etwas Erde von Grab mit, weil sie dieser Erde eine heilsame Wirkung zuschrieben. Auch die Überreste des Heiligen, (zum Beispiel Knochenstückchen) wollte man gerne haben. Dieses Phänomen war früher nicht unüblich. Heute finden wir die Überreste von Heiligen noch immer als Reliquien in den Kirchen. In Houthem-Sint Gerlach wurde das Geschehen um dem Grab des Sankt Gerlachus an einem bestimmten Zeitpunkt mehr strukturiert und konnten die Gläubigen den 'Sand' auf eine anständige Weise bekommen.  

gewijde aarde Sint Gerlach
Abbildung 1. Das Grab von Sint Gerlach(us) mit der geweihten Erde

Die Sint Gerlachuskirche - Banholt 
In Banholt (Gemeinde Eijsden-Margraten) in der niederländischen Provinz Limburg gibt es auch eine Sint-Gerlachuskirche. Der 'Sand' (auch hier wieder Kalksteinpuder) wird jedes Jahr am Feiertag von Gerlachus im Januar gesegnet. Danach werden 150 Tütchen mit dem Puder gefüllt. Diese Tütchen liegt man dann im hinteren Teil der Kirche neben dem Heiligenstandbild (Abbildung 2). Während unseres Kirchenbesuchs im März lagen da nur noch etwa 10 Tütchen. Der Brauch soll also sehr lebendig sein. Gläubigen nehmen den 'Sand' mit um es in den Ställen beim Vieh zu streuen. Das Vieh soll dann nicht Krank werden. Sankt Gerlach wird in Banholt vor allem bei Krankheiten von Mensch und Tier angerufen. 

gewijde aarde banholt
Abbildung 2. Säckchen mit geweihter Erde in der Sint Gerlachuskirche in Banholt

Die Sint Catharinakirche - Montfort 
In der Sint Catharinakirche in der niederländischen Provinz Limburg im Ort Montfort (Gemeinde Roerdalen) wird der heilige Antonius angebeten. Bei seinem Standbild im hinteren Teil der Kirche steht ein Eimer mit geweihtem Sand (Abbildung 3). Daneben liegt eine kleine Schaufel. Gläubigen kommen noch immer von nah und fern um etwas Sand mitzunehmen. Sie streuen es auf die Äcker um die Erde mehr fruchtbar zu machen. Auch streuen sie es im Stall beim Vieh um Krankheiten und Unheil abzuwenden. Der geweihte Sand im Eimer ist Bausand, den man in einem Sack im Baumarkt gekauft hat. In der Kirche segnet der Pfarrer dann den Sand. 

gewijd zand montfort
Abbildung 3. Der Eimer mit geweihter Erde in der Sint Catharinakirche in Montfort

Die Goddelijke Zaligmakerkirche - Hakendover 
Hakendover (in der belgischen Provinz Vlaams-Brabant) liegt südöstlich von Tienen. Hakendover ist vor allem bei Katholiken bekannt durch seine sogenannte Pferdeprozession die jedes Jahr am Ostermontag stattfindet. An diesem Tag werden Pilger und Tiere gesegnet und findet ein Pferderennen über die Äcker statt. Pilger können auf dem Friedhof etwas geweihte Erde mitnehmen (Abbildung 4). Diese Erde kann benutzt werden als Abwehr oder Beseitigung von Unheil. So streut man die Erde auf die Äcker und man gibt sie dem Vieh zu essen. Diese geweihte Erde finden wir auf dem Friedhof an der Hinterseite der Kirche unter einem Schutzdach zwischen zwei Strebepfeilern. Von vorne wird dieser 'Stallbau' mit zwei Betonbändern abgetrennt. Früher stand auf diesen Betonbändern ein fester eiserner Zaun mit einem kleinen Eingangstor (mit einem Vorhängeschloß). Geweihte Erde konnte man da für einige Centimes (früher die kleinste Währungseinheit in Belgien) von einer Frau kaufen. Diese Frau stand im Stallbau und sie gab den Pilgern die Erde durch die Gitter. Heute braucht man die Erde nicht mehr zu kaufen, man kann einfach etwas davon mitnehmen. 

gewijde aarde Hakendover
Abbildung 4. Der 'Stallbau' mit geweihter Erde auf dem Friedhof in Hakendover

Die Sint Evermaruskapelle - Rutten 
Rutten (in der flämischen Provinz Limburg) gehört zur Gemeinde Tongeren in Belgien. Im Fußboden der Sint Evermaruskapelle befindet sich eine kleine Zisterne, die mit einer kleinen Fliese abgeschlossen ist. In dieser Zisterne befindet sich geweihte Erde, die die Gläubigen mitnehmen dürfen (Abbildung 5). Die Erde benutzt man zur Heilung von kranken Tieren. Dazu mischt man etwas von dieser Erde mit dem Futter. Auch wird diese Erde auf die Äcker gestreut. Die Gläubigen benutzen die Erde auch selber als Heilmittel gegen Krankheiten und kleinem Übel. Bei der Kapelle erzählte uns eine Frau, daß diese Erde eigentlich für alles zu benutzen ist. Sie legte diese Erde in einem Säckchen unter ihrem Kissen im Bett wenn sie schlafen ging. Die Frau nahm auch etwas Erde für eine Bekannte mit. Eine ihrer Bekannten sollte eben von Polypen genesen sein, nachdem sie die Erde benutzt hatte. Die Erde in der Zisterne sieht aus wie ein feines Puder. Der Mann der diese Zisterne mit geweihter Erde pflegt, erzählte uns, daß er die Erde von der Wiese um die Kapelle mitbringt. Bevor er sie in die Zisterne tut, siebt er sie und entfernt er kleine Ungerechtigkeiten sowie Steinchen. Laut der Legende wurde der Heilige Evermarus hier ermordet als er und seine Begleiter sich auf dieser Wiese ausruhten von einer Wallfahrt nach Santiago de Compostella in Spanien. Im 10. Jahrhundert sollte sein Grab auf dieser Wiese zurückgefunden sein. Danach hat man hier eine erste Kapelle aus Holz gebaut. Heute finden wir das Grab des Heiligen Evermarus in der Kapelle die 1784 gebaut ist. Jedes Jahr finden hier am 1. Mai die Sint Evermarusfeiern statt. Dann wird der Ermordung des Sint Evermarus und seiner Begleiter gedacht. 

gewijde aarde rutten
Abbildung 5. Die Zisterne mit geweihter Erde in der Sint Evermaruskapelle in Rutten.

Die Saint Mortkapelle - Haillot 
Haillot (Gemeinde Ohey) liegt in der wallonischen Provinz Namur. In der Saint Mortkapelle aus dem 15. Jahrhundert können Gläubigen noch immer 'heilige Erde' mitnehmen. Diese Erde können sie dann mit dem Tierfutter mischen, damit die Tiere nicht krank werden. Kühe gäben sogar mehr Milch. Die Erde finden wir in der Kapelle in einem Loch unter dem Altar (Abbildung 6). Um die Oberseite eines großen Steins herum, der möglich ein Menhir ist, liegt die Erde. Sicherheit darüber gibt es aber nicht weil man das noch nie gut untersucht hat. Wir wissen auch nicht wie tief dieser Stein in der Erde steckt. Daß es sich um einen Megalith handelt, wird uns aber nicht überraschen. In nur kurzer Entfernung steht hier in Haillot schließlich der 'Pierre de Diable' (Teufelsstein), ein 4500 Kilogramm schwerer Stein der mit Sicherheit zu den Menhiren gerechnet werden kann. Gläubigen kommen zur Kapelle um Saint Mort anzurufen und ihre Kopf- und Zahnschmerzen wegzunehmen. Möglich nehmen die Menschen die Erde nicht nur für die Tiere mit, aber benützen sie sie auch selber. Im Loch mit der Erde liegen aber auch Schnuller von kleinen Kindern, die sehr wahrscheinlich als Votivgabe zurückgelassen sind. Ähnliches haben wir öfter in Kapellen und Kirchen gesehen.

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Abbildung 6. Das Altar in der Saint Mortkapelle mit dem Loch, worin man den großen Stein sehen kann.

Siehe auch Teil 2

Standorte und Situationen können sich im Laufe der Zeit ändern. Bitte betrachten Sie die Daten über die Standorte dann als Anweisungen, die sich vielleiht geändert haben. 

 Text: Jan Weertz
Fotos: Jan und Els Weertz

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